Logistik 4.0: Die Digitalisierung mit all ihren Potenzialen und Herausforderungen macht auch vor Logistik-Unternehmen keinen Halt: Ohne leistungsfähige, moderne, integrierte und flexible Lösungen im Bereich der Informationstechnologie ist die Entwicklung von Logistikunternehmen zum reinen Frachtführer vorprogrammiert. Wer jedoch profitabel, wachstumsorientiert und als echter Partner mit seinen Kunden zusammenarbeiten will, muss diesem Trend entgegenwirken und darf deswegen die notwendigen Investitionen in die Logistik 4.0 weder personell noch finanziell scheuen. Hier stehen nun vor allem Fragestellungen im Vordergrund, die zu Beginn eines Softwareauswahlprozesses geklärt werden sollten.

Lagerlogistik

„Die Bedeutung der Logistik für den Unternehmenserfolg ist in den letzten Jahren kontinuierlich gewachsen. Ursachen dafür sind die Globalisierung der Märkte und Wertschöpfungsketten, die wachsende Durchdringung der logistischen Prozessketten mit Informations- und Kommunikationstechnologien, die verstärkte Individualisierung der Produkte für Konsumgütermärkte sowie die Deregulierung der Transport- und Telekommunikationsmärkte.“  (Krieger, Winfried in Gablers Wirtschaftslexikon 2016).

Ein Beispiel: Ein Auto, das für den skandinavischen Markt bestimmt ist, wird in der Slowakei gebaut – mit Bauteilen, die in verschiedenen Ländern Europas und Asiens produziert werden. Das funktioniert nur mit Logistik als verbindendem Element. Sie sorgt für die notwendige Planung, Gestaltung und Steuerung der internationalen Waren- und Informationsflüsse in der Automobilbranche.

Dabei übernehmen Logistiker heute auch Produktionsschritte und andere wertsteigernde Dienstleistungen. So erhalten importierte Neuwagen oft nicht beim Hersteller, sondern erst in einer Werkstatt des Logistikers im Bestimmungsland Sonderausstattungen wie Ledersitze, Sportfelgen oder Navigationssysteme.

Damit ist die Digitalisierung von herausragender Bedeutung für die Logistik. Ist man hier nicht gut ausgestattet, wird der Konkurrenzdruck immens. Bevor man sich jedoch mit den detaillierten Anforderungen einer neuen oder erweiterten IT-Landschaft befasst, sollte man sich Gedanken über deren „äußere Anforderungen“ machen.

Integrierte Software oder per „Schnittstelle“ angebunden

Gerade Logistiker haben meist viele verschiedene Softwarelösungen im Einsatz. So ist ein typisches mittelständisches Speditionsunternehmen beispielsweise mit folgender Software-Infrastruktur ausgestattet:

  • Speditionssoftware – von der Planung bis zur Abrechnung
  • Telematiklösung – Transportauftragsabarbeitung und Rückmeldung
  • Finanzbuchhaltung (im Haus oder DATeV integriert)
  • Lohnabrechnung (im Hause oder DATeV integriert)
  • Reisekostenabrechnung
  • Analysetools
  • Integrationsplattform für die Kopplung von Kundensystemen (ERP, WWS, LVS)

Bei einer solchen Vielfalt an Lösungen wird die Integration der verschiedenen Systeme zum K.O. Kriterium. Denn schließlich will niemand Daten doppelt erfassen, überall mit möglichst aktuellen Daten arbeiten und auch Ergebnisse von Lösung A in Lösung B nutzen, um mit diesen Daten dort weiterarbeiten zu können. Die Lösungen müssen also miteinander kommunizieren können. Am besten ist dies möglich durch den Einsatz integrierter Softwarelösungen. Integration bedeutet in diesem Fall, dass mehrere Software-Teile eine Gesamtlösung ergeben und dadurch miteinander integriert funktionieren. Alle „Software-Teile“ greifen hier in aller Regel auf die gleiche Datenbank zu. Daten müssen keine Synchronisierungsprozesse durchlaufen, geänderte Stammdaten stehen beispielsweise sofort in allen Softwarebereichen zur Verfügung. Einen Hersteller zu finden, der alle Lösungen, die unser Beispielunternehmen einsetzt „aus einem Guss“ liefert, ist allerdings Glückssache.

Eine andere Möglichkeit, Brücken zwischen verschiedenen Software-Lösungen zu bauen, bilden Schnittstellen. Über Schnittstellen ist es sogar Software-Lösungen unterschiedlicher Anbieter möglich, Informationen und Daten auszutauschen. Allerdings erfolgt eine solche Synchronisation nicht in Echtzeit. Theoretisch ist es möglich, sehr häufige Synchronisationen, beispielsweise alle 5 Minuten, einzurichten, so dass man beinahe an ein Echtzeit-Niveau herankommt. Allerdings ist dann eine entsprechende Leistungsfähigkeit von Netzwerk und System erforderlich.

Moderne Technologie

Hat man sich dazu durchgerungen, den Schritt in die digitalisierte Welt zu wagen, möchte man in der Regel damit auch gleich die modernste Technologie einkaufen. Doch nicht immer ist eine moderne Technologie mit einer modernen Lösung gleichzusetzen. So sollte sich die moderne Technologie nicht auf das äußere Erscheinungsbild, die Benutzeroberfläche beschränken. Hier sollte man besonderes Augenmerk auf die „inneren Werte“ legen. Verfügt die neue Lösung beispielsweise über eine relationale Datenbank oder ist es möglich, ein weiteres System ganz ohne Programmierung zu integrieren. Dies ist ein besonderer Knackpunkt, denn bei modernen Lösungen ist Programmieren out und Konfigurieren in. Ob bei Formularen, Anwendermasken, Auswertungen oder Schnittstellen: Moderne Lösungen haben entsprechende Werkzeuge, um diese Tätigkeiten komplett ohne Programmierung durchzuführen. In der Regel können geschulte Anwender diese Aufgaben selbstständig durchführen, ohne dass dies die Upgrade-Fähigkeit der Software negativ beeinflusst.

Somit bedeutet der Einsatz moderner Entwicklungstechnologien also noch lange nicht, dass die neue Lösung auch funktionell optimal ausgestattet ist.

Abschied von Excel und Co

Darüber hinaus sollte mit der Implementierung einer neuen Software-Lösung gleichzeitig der Abschied von MS-Excel®- und MS-Access® sowie aller Nebenbuhler besiegelt werden. Das wird sicherlich schwerfallen, denn in jedem Unternehmen gibt es meist eine Masse von Auswertungen, Analysen oder kleineren, gar größeren Zusatzprogrammen. Diese sollen oft die „Unfähigkeiten“ nicht nur der Software, sondern manchmal auch der Anwender wettmachen und schnell zum gewünschten Ergebnis, meist bei Auswertungen und Kalkulationen, führen. Kein Wunder also, dass es in manch einem Unternehmen einen nicht mehr überblickbaren Wust an Zusatzfunktionalitäten auf derartiger Basis gibt, welche nicht gerade zur Effizienz oder Transparenz von Daten und Informationen beitragen. Redundante Daten, die auch gänzlich anders interpretiert werden, sind dabei ein echter Risikofaktor. Zu schnell trifft man Entscheidungen auf einer Datenbasis, deren Entstehung gar nicht mehr nachvollzogen werden kann. Eine moderne Software-Lösung braucht MS-Excel® & Co eigentlich immer seltener. Denn wer über eine entsprechende Datenbank und Auswertungstools verfügt, kann seine Daten in beliebiger Form auswerten und fehlende Informationen ggf. in einer „Schattendatenbank“ hinterlegen. Das Ganze jedoch voll integriert in die bestehende Applikation. Wer damit Insellösungen als Nebenbuhler ausschaltet, wird meist auch einen viel höheren Nutzungsgrad der neuen Applikation erzielen. Denn so manch ein Anwender greift auf die Schnelle auf aus Excel erstellte Zusatzlösungen zurück, anstatt sich damit zu beschäftigen, wie er die Antworten auf seine Fragen aus den im System vorhandenen Daten direkt ableiten kann.

Datenbank

Bei der Software-Auswahl sollte man die richtige Datenbank nicht ganz vernachlässigen. Hier gibt es unter den Herstellern verschiedene Datenbanktypen wie beispielsweise den „Alleskönner“. Er kann mehrere verschiedene Datenbanken mit seiner Lösung integrieren. Dies hat allerdings Einschränkungen in der Entwicklung zur Folge. So kommt es in Abhängigkeit von der Auswahl der Datenbanken vor, dass er technische Spezifika, die in Datenbank A aber nicht in Datenbank B funktionieren, nicht generell umsetzen kann. Dies kann zu Einschränkungen der Funktionalität führen. „Der ewig Gebundene“ Anbieter kann dagegen nur mit einer einzigen Datenbank arbeiten. Dies kann daran liegen, dass die Entwicklungsumgebung und die Datenbanken vom gleichen Anbieter kommen. In der Regel ist dies von Vorteil, da beide Systeme aufeinander abgestimmt sind. Darüber hinaus spielt in vielen Unternehmen auch das bereits vorhandene Datenbank-Know-how eine besondere Rolle bei der Auswahl der Lösung. Wie stark sich Unternehmen davon leiten lassen, sollten sie genauestens abwägen. Wird ein Anbieter aufgrund der falschen Datenbank disqualifiziert, obwohl er funktionell am besten ausgestattet ist, sollten auf jeden Fall die Key-User in die Entscheidung einbezogen werden. Diesen ist in der Regel egal, welche Datenbank hinter einer Lösung steckt. Hauptsache, die Prozesse sind effizient abgebildet und die Funktionalität stimmt. Eines sollte immer klar sein: Wenn man sich einmal mit einem Anbieter „verheiratet“ dann heiratet man die Technologie und die damit verbundene Datenbank mit.

Data Dictionary

Eine Auswertung in der neuen Softwareapplikation mit einem externen Analysetool oder auch direkt mit dem vom Anbieter gelieferten Reportprogramm zu erstellen, sollte dank moderner Auswertungswerkzeuge heute eigentlich kein Problem mehr sein. Wo doch auch die Anbieter gerne suggerieren, dass jeder Anwender mit wenigen Klicks, per Drag and Drop selbst die anspruchsvollsten Auswertungen erstellen kann.

Eine einfache Liste der Daten z.B. des Artikelstamms (basierend auf einer einzelnen Datei) mag da noch eine machbare Aufgabe darstellen, doch wenn es komplizierter wird und mehrere, im System verteilte Daten die Basis darstellen, müssen viele Anwender schnell die „Waffen strecken“ und den Softwareanbieter kostenpflichtig zu Hilfe rufen.

Stellt der Anbieter ein ausführliches Data Dictionary, das ist ein „Wörterbuch“ der Software-Lösung, zur Verfügung, ist dies eigentlich nicht mehr nötig. Ein Data Dictionary spiegelt alle Datenstrukturen, Inhalte und Verknüpfungen der Daten der Software wider und ist natürlich abhängig von der eingesetzten Datenbank.

Was ist bei der Update- und Upgrade-Fähigkeit zu beachten?

Wer heute eine Software kauft, der will mindestens 10 bis 15 Jahre davon profitieren. Aus diesem Grund schließt man in der Regel einen Wartungsvertrag ab, der den Erhalt der neuesten Versionen sicherstellen soll. Dabei wird zwischen Updates – stellen meist kleinere Neuerungen der Lösung dar – und Upgrades – umfassen meist erhebliche Neuerungen in der Lösung oder technische Änderungen – unterschieden. Upgrades gibt es eher selten. Bei Updates sieht das hingegen anders aus: manche Anbieter bieten diese im Wochenrhythmus an, was zum Problem werden kann, wenn dieser Prozess nicht automatisiert ablaufen kann. Deshalb sollte man sich im Vorfeld darüber informieren, ob es beispielsweise möglich ist, Updates zu überspringen bzw. zu „sammeln“, um sie zu einem geeigneten Zeitpunkt innerhalb eines Updates zu vollziehen. Die zugesicherte Update- oder Upgrade-Fähigkeit sollte grundsätzlich Vertragsbestandteil sein. Damit Unternehmen auch von den Weiterentwicklungen ihrer Software profitieren können, ist anzuraten, den jährlichen Update- und Upgrade-Aufwand im Vorfeld zu kalkulieren, um immer mit der neuesten Version arbeiten zu können.

Wie alle Unternehmen befinden sich auch Logistik-Unternehmen gerade im Aufbruch. Der Schritt hin zu Logistik 4.0 (Digitalisierung) stellt viele Unternehmen vor große Herausforderungen. Die Anforderungen ihrer Kunden ändern sich ständig beispielsweise durch neue Geschäftsmodelle, Wünsche an erweiterte Dienstleistungen und die Forderung nach Effizienzsteigerung bei gleichzeitiger Reduzierung der Kosten. Ohne leistungsfähige, moderne, integrierte und flexible Lösungen im Bereich der Informationstechnologie ist die Entwicklung von Logistikunternehmen zum reinen Frachtführer vorprogrammiert. Wer jedoch profitabel, wachstumsorientiert und als echter Partner mit seinen Kunden zusammenarbeiten will, muss diesem Trend entgegenwirken und darf deswegen die notwendigen Investitionen weder personell noch finanziell scheuen. Hier stehen nun vor allem Fragestellungen im Vordergrund, die zu Beginn eines Softwareauswahlprozesses geklärt werden sollten. as


Die Autoren:

Rolf Kipp, Trovarit AG

Rolf Kipp,  ist seit 2001 bei der Trovarit AG im Produktmanagement und Consulting, insbesondere für die Anwendungsbereiche ERP und MES tätig. Seine Schwerpunkte dort liegen in der Beratung bei Reorganisation und Auswahl im Rahmen von ERP- und MES-Projekten, Vertragsverhandlungen bei Software-Investitionen, der Begleitung von Implementierungsprojekten (Projekteinrichtung und –management, Abnahmen, Lösungsgestaltung) sowie in der Erstellung und Weiterentwicklung von Lastenheftvorlagen für ERP und MES. www.trovarit.com

Christoph Groß, Supply Chain Competence Center Groß & Partner

Christoph Groß ist seit 2005 selbständiger Unternehmensberater. Kunden aus verschiedensten Branchen und Unternehmensgrößen vertrauen ihm bereits seit 60 Kundenprojekten.


Aktueller Tipp:
Besuchen Sie Herrn Groß auf der CeMAT vom 23. bis 27.04.2018. (Halle 19/20 E85). Er berät dort Besucher in Kooperation mit der Messe zu allen Themen der Digitalisierung.

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