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Industrie 4.0 erfordert intelligente Vernetzung

Die Aachener ERP-Tage 2017 folgten thematisch dem Titel „ERP und MES – Intelligente Vernetzung auf dem Weg zu Industrie 4.0″. Für das produzierende Unternehmen markiert Industrie 4.0 einen Wendepunkt. Aber die vierte industrielle Revolution bietet Unternehmen Chancen und Risiken zu gleich. IT-Entscheider erfuhren auf der Fachtagung in Theorie und Praxis, wie sie die Chancen nutzen und die Risiken meistern.

 

VOR LAUTER BÄUMEN sehen wir den Wald nicht“, beschreibt Prof. Dr.-Ing. Günther Schuh vom FIR e. V. an der RWTH Aachen den  Stand der Digitalisierung in vielen deutschen Unternehmen auf den 24ten Aachener ERP-Tagen. Wer die Chancen der vierten industriellen Revolution nutzen möchte, müsse sich aber zuerst mit den Daten in seinen Systemen beschäftigen, um so „Digitales Sehen“ zu sehen ermöglichen. Die Chancen von Industrie 4.0. zu nutzen, erfordere aber auch eine intensivere Integration von Wertschöpfungsprozessen und IT. Entscheidend für einen nachhaltigen wirtschaftlichen Erfolg im Zuge dieser digitalen Transformation sei, die Wertschöpfungsprozesse im Unternehmen, die vertikale Integration, und über die Supply Chain hinweg, die horizontale Integration, zu beherrschen und zu gestalten.

Eine besondere Vision von Industrie 4.0 bildet daher die smarte, sich automatisiert regelnde Wertschöpfung, die durch eine echtzeitfähige intelligente Vernetzung von Menschen, Maschinen, Objekten und IT sowohl über die verschiedenen Prozessebenen im Unternehmen, vertikal, als auch über die komplette Supply-Chain, horizontal, hinweg ermöglicht wird.

Wie das geht, erfuhren die Besucher der Aachner ERP-Tage in zahlreichen Experten-Vorträgen. Zwanzig Lösungsanbieter aus den IT-Disziplinen Enterprise Resource Planning (ERP) und Manufacturing Execution System (MES) zeigten zudem, was heute in der Industrie 4.0 schon machbar ist.

Industrie-4.0-Hemmnisse: ERP und MES kommunizieren nicht

Was noch nicht machbar ist und warum, zeigten die Experten des FIR e. V. auf. Hemmnisse für die Implementierung einer automatisierten Regelung von Wertschöpfungsprozessen liegen demnach oftmals in traditionellen, aus Insellösungen bestehenden IT-Strukturen der Unternehmen. Die Software für die Planung, insbesondere das Enterprise-Resource- Planning-System (ERP), und produktionsnahe Systeme für den Shopfloor, vor allem das Manufacturing- Execution-System (MES), arbeiten beispielsweise oftmals als getrennte Systeme. Somit ist die grobe und feine Sicht auf die Wertschöpfungsprozesse im Unternehmen nicht dynamisch miteinander verbunden.

Um einen intelligenten Informationsaustausch zwischen der makroskopischen und mikroskopischen Planungsebene zu gewährleisten, muss der Informationsfluss daher zwischen ERP- und ME-Systemen effizienter ausgestaltet werden. Eine solche Lösung würde die Umsetzung der Industrie-4.0-Vision ein großes Stück näherbringen und einen Beitrag zur vertikalen Integration von Wertschöpfungsprozessen im eigenen Unternehmen leisten.

Vertikale Vernetzung – Datentransparenz auf dem Shopfloor

Dazu müssen Unternehmensverantwortliche sich als erstes mit den Daten im System beschäftigen. Erst dann lässt sich beispielsweise anhand des Digitalen Schattens erkennen, an welcher Stelle in der Produktion sich ein bestimmter Kundenauftrag befindet. Der Digitale Schatten beschreibt laut Matthias Blum (Foto), Leiter der Fachgruppe Produktionsregelung im Bereich Produktionsmanagement FIR e. V. an der RWTH Aachen, in hinreichender Genauigkeit das Abbild der wesentlichen Daten in der Produktion, Auftragsabwicklung, Entwicklung oder anderen nahen Bereichen. So lässt sich beispielweise Auskunft über vergangene Ereignisse erlangen, der aktuelle Zustand abfragen oder es lassen sich künftige Ereignisse prognostizieren.

Um das zu ermöglichen, müssen allerdings noch einige Hürden überwunden werden. So fehlen beispielsweise noch Standards zum Austausch der Daten. Und auch heterogene Systemlandschaften (ERP, MES, PPS etc.) innerhalb eines Unternehmens zählen laut Blum zu den Herausforderungen. Darüber hinaus sei die Datenqualität aufgrund manueller Erfassungstechnologien oft noch schlecht und es werden oft noch unterschiedliche Technologien zur Datenerfassung eingesetzt (BDE, MDE, Barcode, RTLS, etc.)

Horizontale Vernetzung – Kollaborative Steuerung von Wertschöpfungsketten

Neben der vertikalen Integration von Wertschöpfungsprozessen müssen Hersteller aber auch mit ihren Lieferanten und Kunden zu einer digital vernetzten Wertschöpfungseinheit verschmelzen, um auch den horizontalen Vernetzungsgedanken von Industrie 4.0 zu berücksichtigen. Wie von Prof. Dr.-Ing. Günther Schuh vom FIR e. V. eingangs konstatiert, sind aber Unternehmen auch an manchen Stellen der Supply Chain noch blind, weil auch dort oftmals keine Daten erfasst würden. Der Grad der Verzahnung der einzelnen Glieder einer Logistikkette wird den Nutzen der Daten aber erheblich beeinflussen. Die vertikale Integration bildet dabei eine wichtige Voraussetzung für die horizontale Integration.

Supply Chain Visibility sei daher laut Jens Adema, Leiter der Fachgruppe SCM am FIR e. V., ein Schlüsselelement horizontaler Vernetzung: „Das Sammeln und effiziente Auswerten der Daten ermöglicht smarte Wertschöpfungsketten.“ Das lohnt sich. Denn laut dem SCM-Experten Adema können Unternehmen großes Potenzial durch den schrittweisen Ansatz auf dem Entwicklungspfad zur Digitalen Supply Chain erschließen. Beispiele dafür seien, das Tracking von Wagen mit Hilfe von Identifizierungstechnologien wie RTLS, RFID, Barcode, NFC, iBeacon und iBin. Aber auch die Erfassung von Rückmeldedaten, zum Beispiel „Ware steht bereit“, „Waren kommissioniert“, oder „Ware versandbereit“ optimiert die Supply Chain.


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Stör-Daten per Sensor ermitteln

Neben den theoretischen Ansätzen und Voraussetzungen für Industrie 4.0 demonstrierten zwanzig Anbieter von Business Solutions ihre Lösungen für die praktische Anwendung auf den Aachener ERP-Tagen 2017. So präsentierte die GTT Gesellschaft für Technologie Transfer  mit jFAST eine Software-Plattform zur Umsetzung von Industrie 4.0 nach dem Lego-Prinzip. jFAST ermögliche es als Integrationstool ohne klassische Programmierung alle Daten eines Unternehmens von der Maschinensteuerung über die operative Fertigungsplanung- und -steuerung bis zu den kaufmännischen Daten eines ERP-Systems flexibel zu verknüpfen und Analyse- und Planungsfunktionen zu verarbeiten. jFAST enthalte ebenfalls Bausteine für den Zugriff und die Übernahme von Daten aus beliebigen externen Datenquellen beispielsweise über ODBC-, JDBC- oder OPC UA-Schnittstellen.
Auf den Aachener ERP-Tagen zeigte das in Hannover ansässige Unternehmen wie Daten in der Produktion mittels Sensoren, die auf Druck, Temperatur oder Drehbewegungen reagieren, erfasst und dann in ein IT-System übertragen werden können. Die erfassten Daten, beispielsweise Daten von Störvorfällen, werden dann entweder live auf dem Bildschirm des IT-Systems angezeigt oder in eine Datenbank für spätere Auswertungen geschrieben. Die Datenübertragung zwischen Maschine und IT-System erfolgt über den Schnittstellen-Standard OPC UA. Dieser sei so eingestellt, dass nur Änderungsdaten erfasst werden, um die Datenmenge einzugrenzen. „Klassische Datenbanken würden sonst gesprengt“, erklärt Sven Döpke (Foto), Anwendungsberater bei der GTT.

Große Datenmengen in Echtzeit abarbeiten

Der SAP-Partner itelligence stellte in Aachen mit it.machinery eine Branchenlösung für den mittelständischen Maschinen- und Anlagenbau vor , die auf dem ERP-System S/4HANA basiert. Mit it.machinery könnten Anwender in diesen Unternehmen in Echtzeit auf Daten, Prozesse und Kennzahlen zugreifen und so eine proaktive und vorausschauende Unternehmenssteuerung etablieren. Da sich mit it.machinery den Angaben zufolge sehr große Datenmengen nahezu in Echtzeit abarbeiten lassen, werde selbst bei extrem komplexen Geschäftsprozessen wie der  Materialbedarfsplanung (MRP) der Turbo gezündet. Pro Tag seien mehrere komplette MRP-Läufe möglich, sodass sich bei der Produktionsplanung auf Kundenwünsche oder Ausnahmesituationen zeitnah und flexibel reagieren lasse.

Behältermanagement für die smarte Fabrik der Zukunft

Im Produktions- und Fertigungsprozess spielen in vielen Branchen Behälter eine sehr wichtige Rolle. Unter anderem stellen sie den beschädigungsfreien Transport der Produkte sicher und geben Aufschluss über Anzahl und Art ihres Inhalts. ERP-Hersteller Asseco zeigte in Aachen seine Business Solution APplus. Diese  bietet die Möglichkeit, Fertigungs- und Chargeninformationen zu den einzelnen Teilen und Waren auf Behälterebene lückenlos zurückzuverfolgen. Mithilfe des Behältermanagements würden Behälter in APplus abgebildet, sodass der Bezug zum Werkstattauftrag und zum Arbeitsgang stets vorhanden sei. Die von intelligenten Maschinen gemeldeten Fertigungsdaten würden sich dann  direkt an die Behälter der  bearbeiteten Teile übergeben lassen.

An den nachfolgenden Maschinen stehen damit alle benötigten Daten ebenfalls unmittelbar zur Verfügung. So wird sichergestellt, dass die verschiedenen Teile und  Halbfabrikate im nächsten Arbeitsschritt jeweils korrekt weiterverarbeitet werden. Der Automatisierungsgrad der smarten Fabrik steige dadurch. Zudem könnten Warenausgänge für Beistellteile zusammengefasst werden, da ein direkter Bezug zur Beistell-Auftragsstücklistenposition nicht mehr erforderlich sei. Auch Mengenerhöhungen in der Bestellung für Fremdmontage, zum Beispiel aufgrund von Mindest-Bestellmengen des Lieferanten, seien ab sofort möglich. Und die Bestände und Disposition von Beistellwaren lasse sich über den Lagerdispolauf steuern.

Digitales Sehen ermöglichen

Das Zusammenspiel von Theorie und Praxis auf den Aachner ERP-Tagen veranschaulichte, dass Industrie 4.0 keine Utopie darstellt, sondern Unternehmen konkreten Nutzen bringt. Während laut Prof. Dr.-Ing. Günther Schuh vom FIR e. V. die letzten 20 Jahre keine volkswirtschaftlich messbare Produktivitätssteigerung stattfand, verspricht Industrie 4.0 für die nächsten Jahre großes Potenzial – wenn Unternehmen lernen, die vertikale und horizontale Integration der Wertschöpfungskette digital zu sehen und intelligent zu vernetzen. hei


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