Start ERP Für Cloud-ERP fordern SAP-Anwender flexiblere Lizenzen und eine engere Integration

Für Cloud-ERP fordern SAP-Anwender flexiblere Lizenzen und eine engere Integration

Exklusiv-Interview: Die Cloud kommt bei Unternehmen gut an. Zu den größten Hürden gehören laut den DSAG-Vorständen Andreas Oczko und Steffen Pietsch Unsicherheiten im Datenschutz und die mangelnde Integration. Auch bei SAPs Lizenzmodellen sehen die Anwendervertreter Nachholbedarf.

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Wie hat sich die Akzeptanz der Cloud verändert?

Wie hat sich die Akzeptanz der Cloud verändert?

Steffen Pietsch: In Sachen Cloud-Akzeptanz nehmen wir grundsätzlich eine positive Tendenz wahr. Das gilt sowohl für Private Clouds als auch für Public-Cloud-Angebote. COVID-19 hat bei Cloud-basierten Kollaborations-Tools für einen Durchbruch gesorgt. Was vielen Unternehmen noch zu schaffen macht, ist die mangelnde digitale Souveränität Deutschlands.

Wie sieht denn die Akzeptanz für betriebswirtschaftliche Software (ERP) aus der Cloud aus?

Pietsch: Bei ERP-Systemen eignen sich Cloud-Lösungen vor allem dann, wenn ein Unternehmen bereit ist, einen hohen Standardisierungsgrad einzugehen. ERP-Landschaften von SAP oder anderen Anbietern, die über Jahre gewachsen sind, weisen oft einen hohen Modifikationsgrad auf. Das lässt sich in der Cloud nur schwer abbilden. Unternehmen müssen dort entweder zurück in den Systemstandard gehen, oder diese Betriebsvariante ausschließlich für Systemerweiterungen nutzen. Geht es um personenbezogene Daten, müssen Unternehmen abklären, welche Angebote von welchen Playern sie aus Sicht des Datenschutzes dafür nutzen dürfen.

Für welche Art von Unternehmen lohnt sich diese Betriebsvariante?

Pietsch: Für mittelständische Unternehmen passt die Cloud sehr gut, denn dort sind die Geschäftsprozesse weniger komplex. Ebenfalls möglich sind Two-Tier-Lösungen, also ein On-Premise-ERP-System für komplexe Prozesse in der Konzernzentrale, und für einzelne lokale Niederlassungen dann eine additive Cloud-Instanz, die mit dem Core-System integriert ist. Ein global agierender Großkonzern stünde vor einer großen Herausforderung, wenn er sein komplettes ERP-System in eine Public Cloud verlagern wollte.

Welche Systemkomponenten können problemlos in die Cloud und welche eher nicht?

Pietsch: Die Stärke der Cloud liegt in der Fähigkeit, zu skalieren. Auf variierende Bedarfe können Cloud-Systeme elastisch reagieren. Mit einer Mikroservices-Architektur oder mit Serverless Computing machen sich Unternehmen diese Fähigkeit zunutze. Aber es gibt auch Limitierungen, etwa die Bandbreite der Internet-Verbindung. In ländlichen Regionen haben es Unternehmen schwer, auf eine leistungsfähige Cloud-Infrastruktur ohne große Latenzen zuzugreifen. Eine weitere Limitierung ist die funktionale Abdeckung. Anders die On-Premise-Lösungen von SAP lassen sich Cloud-basierte Lösungen nur schwer an individuelle Bedürfnisse anpassen. Unternehmen müssen daher vorab genau prüfen, ob der Funktionsumfang im Standard für ihre Anforderungen genügt.

Wie schätzen Sie den Bedarf und die Erfolgschancen des europäischen Cloud-Projekts Gaia-X ein?

Pietsch: Der Bedarf ist aus meiner Sicht riesig. Rechtsunsicherheiten im Bereich Datenschutz und fehlende digitale Souveränität sind aus meiner Sicht die größten Hindernisse für die Nutzung von Cloud-Angeboten. Gaia-X soll diese Lücke schließen. Der große Bedarf und das hohe große Potenzial ist eine gute Vorbedingung. Ob es allerdings gelingt, mit Gaia-X ein Ökosystem zu stimulieren, das einen starken deutschen Fokus hat und nicht auf die großen Hyperscaler setzt, lässt sich aktuell nur schwer beantworten. Es ist sicherlich machbar, aber zweifelsfrei eine riesige Herausforderung, denn es gibt viele Beteiligte mit sehr starken Eigeninteressen. Zudem steht noch eine ganze Reihe von Fragen offen, etwa die Integration von Gaia-X als Bestandteil einer Multi-Cloud-Architektur.

In welchen Bereichen ist das Cloud-Angebot der SAP stark und wo eher schwach?

Pietsch: Das Cloud-Portfolio von SAP hat sich in den vergangenen Jahren gut entwickelt. Einerseits über die Zukäufe, aber auch sukzessive durch neu entwickelte Lösungen wie etwa die SAP Analytics Cloud. Für diese Lösung sehen wir ein großes Potenzial. Die Herausforderung, vor der viele Kunden stehen, liegt in der bis dato teils mangelnden Integrationsfähigkeit. Eine Cloud-Lösung, für sich genommen, funktioniert gut, aber sie erfüllt den Geschäftszweck oft nur teilweise. Unternehmensprozesse enden nicht an der Grenze einer Cloud-Lösung, sondern sie müssen über verschiedene Applikationen hinweg funktionieren. Genau hier haben die SAP-Applikationen noch Nachholbedarf. Die DSAG fordert seit Jahren eine verbesserte Integrationsfähigkeit der Cloud-Lösungen. SAP hat sich klar verpflichtet, diese Lücken zu schließen.


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Sie sprechen das One Master Data Model an, das die Datenmodelle der Lösungen über die Cloud harmonisieren soll?

Pietsch: Das ist ein Baustein der gesamten Integrationsstrategie. SAP will ihre Cloud-Lösungen harmonisieren und einheitliche Suite-Qualities sicherstellen. Als Ordnungskriterium dienen zentrale Unternehmensprozesse wie beispielsweise Order-to-Cash oder Purchase-to-Pay. Entlang dieser Prozesse wird orchestriert, welche Cloud-Lösungen für welchen Prozessabschnitt relevant sind. Entlang dieser Kette werden die gemeinsamen Kriterien definiert. Eine große Rolle bei der Integration spielt das Thema Domain Model Alignment, also die Harmonisierung von Datenmodellen.

Welche anderen Cloud-Anbieter nutzen die DSAG-Mitglieder?

Pietsch: Bei den Infrastrukturanbietern spielen die Hyperscaler eine große Rolle. SAP als Lieferant von Business-Lösungen positioniert sich hier eher am Rande. Mit den Lösungen der Hyperscaler kommen die DSAG-Mitglieder nicht nur auf der rein infrastrukturellen Ebene, sondern auch auf der Ebene von Platform-as-a-Service in Kontakt. Bei den klassischen Line-of-Business-Lösungen nutzen die SAP-Anwender das Spektrum, das der Markt bietet. Die Marktverteilung der Anbieter findet sich auch bei DSAG-Mitgliedern.

Wie sehen die Lizenzmodele für die Cloud aus?

Oczko: Das grundsätzliche Lizenzmodell sieht so aus, dass Unternehmen die Software inklusive der Wartung mieten. Die Gebühr fällt monatlich an, und die Verträge laufen meist drei bis fünf Jahre lang. Genau an diesem Punkt müssen wir ansetzen: Durch COVID-19 brechen die Umsätze vieler Unternehmen gewaltig ein. Luftfahrtgesellschaften sind ein gutes Beispiel dafür. Was wir hier ganz dringend brauchen, ist eine Flexibilisierung der Lizenzmodelle. Hier besteht bei SAP noch Luft nach oben. Nehme ich beispielsweise den Umsatz als typische Cloud-Metrik, dann ist SAP gerne bereit, zusätzliche Lizenzen zu vermieten, wenn der Umsatz steigt. Die Gegenrichtung funktioniert nicht ohne weiteres. Aber wenn ein Unternehmen große Umsatzeinbußen erleidet und deswegen die Kosten reduziert, dann muss es auch möglich sein, zumindest einen Teil der Lizenzen zurück zu geben. SAP wird sich hier den Gegebenheiten im Markt anpassen müssen. Ich glaube nicht, dass Covid-19 in wenigen Monaten vorbei ist und alles wieder so läuft wie früher.

Wie können Unternehmen ihre On-Premise-Lizenzen in die Cloud migrieren, ohne ihre jetzige Rabattstaffel zu verlieren?

Okzko: Das Stichwort lautet hier vertikales Lizenzmodell. Wir brauchen dringend eine Anerkennung der vorhandenen On-Premise-Lizenzen in der Cloud-Welt. Diese Anerkennung kann sicherlich nicht alles umfassen. In der Cloud stellt ja ein Provider die Infrastruktur bereit. Dafür Gebühren zu verlangen, ist fair. Aber die bestehenden On-Premise-Lizenzen müssten angerechnet werden. Das bringt den Kunden Flexibilität.

Wie sind denn Unternehmen mit den Möglichkeiten zufrieden, eine Cloud-Lösung kurzfristig zu testen?

Oczko: Auch hier muss SAP noch nachlegen. Die Wirtschaft befindet sich mitten in einer stark beschleunigten digitalen Transformation, und da wollen Unternehmen Lösungen einfach mal ausprobieren können, ohne sofort einen mehrjährigen Vertrag abzuschließen. Sicherlich werden einige dieser Tests nicht funktionieren. Die SAP muss diese Unsicherheit in ihren Lizenzmodellen abbilden. Da ist noch viel zu tun. Fairerweise muss man sagen: Wir sind im Gespräch, und SAP ist bereit, über einige Anpassungen nachzudenken. Wir stehen vor hohen Hürden, die wir gemeinsam mit SAP meistern müssen, damit die Unternehmen gut aus der Krise kommen.


Im Gespräch

Andreas Oczko (links) ist bei der Deutschsprachigen SAP-Anwendergruppe DSAG Fachvorstand für Operations und Service sowie im Hauptberuf Leiter des SAP Customer Competence Center bei der Arvato Group. Steffen Pietsch ist Technologievorstand der DSAG und Head of Business Applications bei der Haufe Gruppe.


Der Autor

Jürgen Frisch ist seit mehr als als 20 Jahren als Journalist in der IT-Branche unterwegs. Für die IT-Matchmaker®.news verfasst er aktuelle Nachrichten und Interviews.