Fehlende Experten und mangelnde Kompetenzen: Das behindert Deutschland laut einer Umfrage des Verein Deutscher Ingenieure (VDI), Künstliche Intelligenz effizient einzusetzen. Dringend notwendig seien Fördermittel für industrielle Anwendungen und den Know-How-Aufbau.

Ki Mythen

Experten sind Mangelware: „Fast zwei Drittel unserer Fachleute sind der Auffassung, dass uns in Deutschland die Kompetenzen fehlen, Technologien rund um Künstliche Intelligenz effizient einzusetzen“, erläutert VDI-Präsident Volker Kefer auf der Hannover Messe 2019. Eine aktuelle VDI-Mitgliederumfrage zur Künstlichen Intelligenz zeichnet dieses ernüchternde Ergebnis: Nur noch 14 Prozent der Befragten sehen Deutschland in einer Führungsposition im internationalen Wettbewerb – ein Minus von 53 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. „Das deutet stark darauf hin, dass Deutschland im globalen Wettbewerb um Künstliche Intelligenz den Anschluss verliert“, so Kefer.

China tauscht mit den USA den Platz an der Spitze

Um die Spitzenposition bei den führenden internationalen Experten bei Künstlicher Intelligenz wird es voraussichtlich bald einen Führungswechsel geben: Klaffte vor knapp einem Jahr noch eine große Lücke von 25 Prozent zwischen den USA und China, konnten die Asiaten den Abstand deutlich verkürzen. Aktuell sehen noch 67 Prozent der Fachleute die USA vorne und 61 Prozent China.

Damit Deutschland bei Künstlicher Intelligenz aufholen kann, muss die Große Koalition laut Kefer schnellstmöglich die im Rahmen ihrer Strategie versprochenen Investitionen anstoßen: „Wir wissen immer noch nicht, wie hoch die Fördermittel sein werden, aus welchen Töpfen sie kommen und wohin sie konkret fließen sollen. Klar ist nur, dass damit 100 neue Professuren geschaffen werden sollen. Ich frage mich allerdings, woher das entsprechende Personal kommen soll.“

Künstliche Intelligenz muss in den Werkzeugkasten von Ingenieuren

Der gutgemeinten Strategie müsse die Bundesregierung nun konkrete Taten folgen lassen. „Es wäre fahrlässig, bei intelligenten Technologien weiter an Boden zu verlieren“, warnt Kefer. Daher fordert der VDI, ausreichende Fördermittel speziell in den Bereich industrielle Anwendungen von KI-Technologien sowie in die Stärkung von generellem KI-Know-how zu investieren. Methoden der KI müssten schnellstens in den Werkzeugkasten von Ingenieuren, vergleichbar mit Mathematik und Physik. Gerade Ingenieure spielten eine zentrale Rolle dabei, Künstliche Intelligenz in technische Systeme zu integrieren.“ Dieser Aussage pflichten 80 Prozent in der Umfrage bei.

Neben dem fehlenden Know-how verhindert auch der leergefegte Arbeitsmarkt, dass in Deutschland zeitnah ein Aufwärtstrend in Sicht ist. Im vierten Quartal 2018 gab es monatsdurchschnittlich 126.000 offene Stellen auf dem Arbeitsmarkt für Ingenieure und Informatiker. Ein Drittel davon – knapp 43.000 – fielen dabei auf den IT-Bereich. Im Vergleich zum Vorjahresquartal entspricht das einer Steigerung der offenen IT-Stellen von rund sechs Prozent.

Viele Unternehmen, speziell aus dem Mittelstand, suchten händeringend nach qualifiziertem Personal, um IT- und Digitalisierungsprojekte umzusetzen. Das geringe Angebot an diesen Fachkräften führe dazu, dass viele Projekte nicht verwirklicht werden könnten und Deutschland im internationalen Wettbewerb weiter an Boden verliere. In Sachen Künstlicher Intelligenz bedeute das eine verpasste Chance. Laut VDI-Umfrage würde die Hälfte der deutschen Industrie aus Datenschutzgründen lieber auf heimische Anbieter intelligenter Technologien setzen.

Verkehrssteuerung, Diagnostik, Aufklärung und Sicherheit

„Der globale Wettkampf um die beste Position in Bezug auf die Applikationen von Künstlicher Intelligenz ist im Gang“, erläutert Kurt D. Bettenhausen, Vorstandsmitglied der VDI/VDE-Gesellschaft Mess- und Automatisierungstechnik und Vorsitzender des Interdisziplinären Gremiums Digitale Transformation im VDI. „Wir brauchen in Deutschland jetzt Anwendungen, die das richtige Werteversprechen mitbringen und dem Menschen nutzen. Das sehen wir in unserer Umfrage bestätigt.“

Die VDI-Umfrage zeigt eine starke Verschiebung der Einschätzung der Potenziale Künstlicher Intelligenz: Weg vom Fahren, Fliegen und der Robotik hin zu Verkehrsverflüssigung, Diagnostik, der Entlastung von Menschen bis hin zu Aufklärung und Sicherheit und einer Verbesserung der öffentlichen Verwaltung. Alles Anwendungen, die erstens technisch möglich, zweitens auf voraussichtlich hohe Akzeptanz treffen werden und gleichzeitig einen sehr hohen Benefit versprechen. „Sind sinnvolle Anwendungen zum Greifen nah, machen sich die Unternehmen mit großem Elan auf den Weg und treiben Entwicklungen voran, die diese Applikationen möglich machen“, hofft Bettenhausen. Jürgen Frisch