Start ERP Auswahlberater und Lastenheft: kritische Faktoren bei einer ERP-Auswahl

Auswahlberater und Lastenheft: kritische Faktoren bei einer ERP-Auswahl

Um eine ERP-Auswahl erfolgreich und mit hoher Sicherheit zu betreiben, muss definiert werden, welche Anforderungen in einem Unternehmen vorliegen, die durch ein ERP-System abgedeckt werden sollen. Diese Anforderungen zu identifizieren, ist die erste Aufgabe eines Auswahlberaters.

Auswahlberater

Um die Anforderungen zu identifizieren und zu spezifizieren, muss der Auswahlberater Gespräche mit den Fachabteilungen eines Unternehmens führen.

Offene Gesprächsführung spart Zeit

Die Herausforderung dabei ist, dass die „Prozesswissenden“ in der Regel stark im Tagesgeschäft eingebunden sind und deren Zeit sehr kostbar für das Unternehmen ist. Aus diesem Grund gilt es, die Gespräche mit den „Prozesswissenden“ sehr effizient zu gestalten. Dabei hat sich bewährt, dass der Auswahlberater diese Gespräche offen führt. Dies bedeutet, es werden keine Checklisten oder Lastenheftvorlagen durchgesprochen, in denen teilweise auch Dinge abgefragt werden, die für das Unternehmen nicht relevant sind. Es kann durchaus sinnvoll sein, mit den Gesprächspartnern Checklisten oder Lastenheftvorlagen gemeinsam durchzuarbeiten, dies gilt aber nur, wenn eine klar abgegrenzte Lösung wie beispielsweise eine Maschinendatenanbindung oder eine Pick-by-Voice-Lösung gesucht wird. Wenn man ein ERP-System auswählt und Prozesse abteilungsübergreifend abstimmen muss, ist die Form des offenen Gesprächs, die Variante, die die in Anspruch genommene Zeit der Gesprächspartner auf ein Minimum reduziert.

Der erfahrene Auswahlberater blickt auch in die Zukunft

Entscheidend für eine erfolgreiche Gesprächsführung in dieser Form ist ein sehr erfahrener Berater, der weiß wie die Branche tickt und Unternehmen organisiert sind. Er hat die Aufgabe, in den Gesprächen alte Zöpfe zu entdecken, Visionen zu entwickeln und den Gesprächspartnern mitzuteilen, was sie nicht von einem ERP-System erwarten dürfen. Auf diese Weise kann er mit den Gesprächspartnern gemeinsam abstimmen, wie Prozesse zukünftig aussehen können und daraus die funktionalen Anforderungen an ein ERP-System ableiten.

Da zu diesem Zeitpunkt das neue ERP-System noch nicht feststeht, muss der Berater die funktionalen Anforderungen so gestalten, dass die Aufgabenstellung unmissverständlich formuliert ist und die ERP-Anbieter genügend „Spielraum“ für die Beschreibung der Lösungen haben. Der Auswahlberater hat die Aufgabe, mit den Gesprächspartnern durchaus 10 Jahre in die Zukunft zu blicken, um bereits jetzt Anforderungen zu identifizieren, die in einigen Jahren eine entscheidende Rolle für die Flexibilität und den Geschäftserfolg eines Unternehmens spielen. Es ist zu empfehlen, mit jedem Fachbereich einzelne Gespräche durchzuführen. Auf diese Weise kann man sehr tief in Prozesse und wichtige Details einsteigen.

Aus der Gesamtschau zu Prozessverbesserungen

Eine weitere wichtige Aufgabe des Auswahlberaters ist, die möglichen zukünftigen Prozesse und Anforderungen die mit einer Fachabteilung besprochen wurden, auch mit den Fachabteilungen zu besprechen, die von den Prozessänderungen betroffen sind. Auf diese Weise kann der Auswahlberater, wenn alle Gespräche geführt sind, eine abteilungsübergreifende Sicht der Prozessverbesserungen aufzeigen, die funktionalen Anforderungen ableiten und diese mit dem Unternehmen abstimmen. Bei dieser Vorgehensweise kann man die Gespräche mit den Fachabteilungen effizient durchführen, optimiert dabei Prozesse und identifiziert die funktionalen und prozessualen Anforderungen an ein neues ERP-System. Es ist essentiell, dass der Auswahlberater die Kernprozesse des Unternehmens erkennt und diese so optimiert, dass sie von möglichst vielen ERP-Systemen wenn möglich im Standard abgedeckt werden, ohne Einbußen in der Leistungsfähigkeit der Prozesse hinnehmen zu müssen. Diese Vorgehensweise hat den Vorteil, dass die Berater des ausgewählten ERP-Anbieters nicht noch einmal mit den Fachabteilungen sprechen müssen, um die Prozesse grundlegend abzustimmen. Die Berater des ERP-Anbieters können sehr zügig in die Umsetzung der Prozesse und die Abstimmung mit den Fachabteilungen einsteigen.

Lastenheftvorlagen für präzise und verständliche Anforderungen

Kommen wir nun zu der Rolle des Lastenhefts. Die Anbieter von Ausschreibungsplattformen stellen in der Regel eine Vielzahl von Lastenheftvorlagen zur Verfügung. Dies können Lastenheftvorlagen für PPS, WWS, CRM, DMS, MDE etc. sein. Bei manchen Anbietern kann man auch Teile der Lastenheftvorlagen mischen. Der Auswahlberater kann nun auf Basis seiner Aufzeichnungen aus den Gesprächen mit den Fachabteilungen und der Gesamtabstimmung der Prozesse mit dem Unternehmen, das Lastenheft erstellen. Dabei kommt es darauf an, die funktionalen Anforderungen so zu beschreiben, dass auch ein unabhängiger Dritter, der nicht unbedingt ein ERP-Experte ist, die Anforderung versteht und die Antwort des ERP-Anbieters bewerten kann.

Von Ausschreibungsplattformen bereitgestellte Lastenheftvorlagen bestehen aus Standardfragen, bei denen der ERP-Anbieter die Antwort fest hinterlegen kann. Da einem ERP-Anbieter bei gut gepflegter Datenbasis kein oder nur wenig Aufwand für die Bearbeitung von Standardfragen entsteht kann ein Lastenheft durchaus bis zu 3.000 funktionale Anforderungen enthalten. Es ist nun die Kunst des Auswahlberaters, das Lastenheft so zu gestalten, dass bei den Antworten durch die ERP-Anbieter keine Interpretationsspielräume entstehen.

Zusätzlich zu den Standardfragen kann der Auswahlberater auch Zusatzfragen in das Lastenheft aufnehmen. Es gibt zwei Gründe, die es erforderlich machen, Zusatzfragen aufzunehmen. Der erste Grund ist, dass die aufzunehmende funktionale Anforderung nicht in den Standardfragen enthalten ist. Der zweite Grund ist, dass es zwar Standardfragen für aufzunehmende funktionale Anforderungen gibt, diese aber zu oberflächlich formuliert sind. Wie schon geschrieben, darf es keine Missverständnisse bei der Formulierung der Anforderung in Verbindung mit der Antwortmöglichkeit des ERP-Anbieters geben. In diesem Zusammenhang ist es wichtig, welche Antwortmöglichkeiten der ERP-Anbieter hat. Bei Zusatzfragen kann der Auswahlberater entscheiden, ob die Antwortmöglichkeit auf eine Frage maschinell auswertbar ist oder nicht. Maschinell auswertbar ist beispielsweise eine SKGPN-Frage. Der ERP-Anbieter kann in diesem Fall als Antwort ein „S“ geben, dies bedeutet, dass die Anforderung über den Standard der Software erfüllt ist. „K“ bedeutet kleine Anpassung (< 1 Manntag), „G“ bedeutet große Anpassung (> 1 Manntag), „P“ bedeutet, die Abdeckung erfolgt durch ein Partnerprodukt und „N“ bedeutet nicht erfüllt. Nicht maschinell auswertbar sind Fragen vom Typ „CHAR“, in diesem Fall erfolgt die Antwort durch den ERP-Anbieter in Freitext. Der Hauptvorteil bei der Nutzung einer Ausschreibungsplattform ist die Möglichkeit, das Lastenheft mit den Antworten der ERP-Anbieter maschinell auszuwerten, aus diesem Grund sind funktionale Anforderungen, die sich auf Prozess-Bausteine beziehen immer in „SKGPN“-Frageform zu formulieren.

Weichenstellung für ein erfolgreiches Auswahlprojekt

Jedes Unternehmen ist begeistert, wenn es mit den Auswertungstools eines Lastenhefts, ERP-Anbieter nach allen Facetten des Lastenhefts vergleichen kann. Dazu gehören funktionale Abdeckungsgrade für das gesamte Lastenheft und gezielt ausgewählte Bereiche, Spinnennetzdiagramme und weitere Darstellungsmöglichkeiten. Das Ganze macht aber keinen Sinn, wenn die Anforderungen an die neuen Prozesse und der Detaillierungsgrad der Fragestellung nicht wie bereits beschrieben erfolgt ist, in diesem Fall hat man eine nicht definierte Unsicherheit in der ERP-Auswahl und überlässt die Entscheidung dem Zufall.


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Im Rahmen der ERP-Inbetriebnahme kann man sehr leicht erkennen, ob das Lastenheft den beschriebenen Qualitätsanforderungen entspricht. Wenn das Unternehmen mit den Beratern des ERP-Anbieters über die Umsetzung der Prozesse spricht und man sich mit den Details beschäftigt, ist es üblich, bei Unstimmigkeiten in das Lastenheft zu schauen. Wenn dort essentielle Anforderungen des Unternehmens nicht beschrieben sind, wurden Fehler bei der Prozessaufnahme und -optimierung gemacht. Es kann auch sein, dass die Anforderung im Lastenheft enthalten ist, aber nicht eindeutig formuliert wurde, in diesem Fall erfüllt das Lastenheft nicht seinen Zweck. Wenn sich Fragestellungen dieser Art anhäufen, kommt es seitens des Unternehmens zu der berechtigten Frage, ob ein anderes ERP-System vielleicht besser geeignet gewesen wäre. Die Stimmung kippt und das Projekt ist in Gefahr. Aus diesem Grund muss man die Prozessaufnahme und ‑optimierung und das Lastenheft als Kernstück der ERP-Auswahl betrachten.

Lastenheft als Vertragsbestandteil

Nun kann man auch leicht die Frage beantworten, ob das Lastenheft mit den Antworten des ERP-Anbieters als Vertragsbestandteil sinnvoll ist oder nicht. Diese Frage muss ganz klar mit einem „ja“ beantwortet werden, es kommt aber darauf an, welche Rolle das Lastenheft im Vertragswerk spielt. Wenn man mit dem finalen ERP-Anbieter darüber spricht, das Lastenheft mit den Antworten als Vertragsbestandteil zu erklären, kommt es bei einigen Anbietern zu komischen Reaktionen, auf die in diesem Beitrag nicht weiter eingegangen wird, da sie immer eine Ursache haben: Die Rolle des Lastenhefts im Vertragswerk ist nicht definiert.

Das Lastenheft mit den Antworten des Anbieters dient in erster Linie dem Zweck, die funktionalen Eigenschaften des ERP-Systems zu beschreiben. Es bedeutet nicht, dass alle im Lastenheft aufgeführten funktionalen Anforderungen auch lizenziert wurden, Bestandteil des Projekts sind und abgenommen werden müssen. Lizenzierte und abnahmerelevante funktionale Anforderungen, können beispielsweise im Lastenheft gekennzeichnet werden, dann erfüllt das Lastenheft als Vertragsbestandteil beide Zwecke. Das Lastenheft in dieser Form bietet dem Unternehmen und dem ERP-Anbieter Sicherheit. Angenommen, auf beiden Seiten hat es Personalwechsel gegeben und das Unternehmen möchte 3 Jahre nach der ERP-Inbetriebnahme weitere Funktionen nutzen, dann stellt sich die Frage, ob die entsprechenden funktionalen Anforderungen durch den Standard, durch Anpassungen, ein Partnerprodukt oder gar nicht abgedeckt werden. Die nächste Frage ist, ob die erforderlichen Module bereits lizenziert sind. Wenn das Lastenheft den in diesem Beitrag beschriebenen Anforderungen gerecht wird, wird auch der Vertrag kein Papiermonster, da im Lastenheft alle Details beschrieben sind.

Demzufolge sind ein erfahrener Auswahlberater und ein sinnvoll eingesetztes Lastenheft die Grundbausteine für eine erfolgreiche ERP-Auswahl und -Inbetriebnahme. Wenn die Grundbausteine nicht stabil sind, wird ein ERP-Projekt wackeln, außer man hat Glück.


Der Autor

Thomas Oberländer, CERPOS GmbH