Von der "Golfplatz-Entscheidung" bis zur "Akademischen Übung" reichen die praktizierten Ansätze der ERP-Auswahl. Ähnlich stark unterscheiden sich Projektergebnisse, Aufwand und Dauer der Projekte. Dabei muss eine "Golfplatz-Entscheidung" nicht zwangsläufig in die Katastrophe und die "Doktorarbeit" nicht unbedingt zum erfolgreichen ERP-Projekt führen.
Eine Vielzahl von Einflussgrößen erschwert Unternehmen bei der ERP-Auswahl die Standortbestimmung und die Festlegung des richtigen Wegs zur passenden ERP-Software.
Umfang und Intensität, mit der die Aufgaben der ERP-Auswahl bearbeitet werden, variieren in der Praxis erheblich. An der Art der Investitionsentscheidung lassen sich dabei folgende „Auswahl-Typen" festmachen:
Insbesondere in mittelständischen Familienunternehmen erfolgt die ERP-Auswahl oft ohne großartige Vorbereitung auf der Basis von Empfehlungen und persönlichen Beziehungen. Ausschlaggebend ist hierbei - neben einigen Referenzen - meist die persönliche Vertrauensbasis zwischen der Führungsebene des Anwenderunternehmens und des ERP-Anbieters. In derartigen Fällen reduziert sich die ERP-Auswahl auf wenige Gespräche, nach denen ein recht grob spezifizierter Software- und Wartungsvertrag abgeschlossen wird. Die Anforderungsdefinition und Spezifikation von Anpassungen werden dabei in die Phase der ERP-Einführung verlagert, wobei der ERP-Anbieter als Spezialist meist die Führung übernimmt.
Bei mittleren und größeren Unternehmen wird die ERP-Auswahl oft in Fachbereiche oder auch an einzelne Mitarbeiter delegiert. Im Interesse einer möglichst guten Empfehlung sondieren die Projektverantwortlichen intensiv den ERP-Markt. Sie verschaffen sich dabei z.B. durch Messebesuche bzw. Anbieterpräsentationen einen relativ breiten Eindruck von den am Markt agierenden Anbietern, bzw. deren ERP-Lösungen. Auf Basis ihrer persönlichen Eindrücke grenzen sie den Kandidatenkreis ein und sprechen gegenüber der Entscheidungsebene eine Empfehlung für einen ERP-Anbieter aus. Auch bei diesem Ansatz wird die konkrete Spezifikation der ERP-Software meist in die Einführungsphase verlagert.
Den Ansatz der „Kalkulierten Entscheidung" im Sinne eines klassischen Investitionsprojektes findet man meist ebenfalls bei mittleren und größeren Unternehmen. Motiviert wird dieser Ansatz in der Regel durch die Notwendigkeit, einen Investitionsvorschlag Entscheidungsgremien (z.B. Geschäftsführung, Aufsichtsrat oder auch Gesellschafterkreis) gegenüber belastbar zu begründen. Schlechte Erfahrungen mit früheren Software-Projekten oder auch das Phänomen von „Fraktionen mit unterschiedlichen Vorstellungen" fördern ebenfalls die Motivation für diesen Ansatz.
Bei der „Kalkulierten Entscheidung" werden die o.g. Aufgaben der ERP-Auswahl relativ systematisch abgearbeitet - und zwar mit mehr oder weniger Augenmaß. In einigen Fällen schießen Unternehmen dabei auch über das Ziel hinaus: Prozessdokumentation und Lastenhefte füllen ganze Regale. Zehn bis zwanzig ERP-Anbieter geben sich bei Präsentationen die Klinke in die Hand. Und der ERP-Werksvertrag summiert sich auf 1.000 und mehr Seiten. In diesen Fällen gleicht die ERP-Auswahl eher einer „Akademischen Übung" als einem sinnvoll durchgeführten Investitionsprojekt.
In der Praxis der ERP-Auswahl finden sich meist Mischformen der aufgeführten Typen. Nicht selten beobachtet man auch eine Entwicklung der Vorgehensweisen, z.B. von der „Strategischen Entscheidung" über die „Freie Suche" hin zur „Kalkulierten Entscheidung". In diesen Fällen unterliegt die ERP-Auswahl meist einer Lernkurve, die allerdings meist mit recht viel Aufwand erkauft wird.